“Die Insel, die atmet.” So wird Helgoland auch genannt. Der Wind pfeift mir hier die angeblich reinste Luft Deutschlands um die Nase. Ich wandere über unsere einzige Hochseeinsel, mitten in der Nordsee, 60 Kilometer von der Küste entfernt. Umhüllt von feuchtem Nebel, oder sind es Wolken? Himmel und Meer sind eins, die Elemente verschmelzen…
– Ein Erfahrungsbericht über ein wunderbares Wochenende voller Naturerlebnisse, inklusive Vogelbeobachtung und Robbenbegegnung.
Das Geschnatter wird lauter, je näher ich der Nordwestseite von Helgoland komme. Es übertönt mittlerweile das Brausen des Windes und sogar die Brandung, die um die Klippen peitscht. Dann lichtet sich der Nebel und spuckt die roten Felsen aus, die ich bisher nur auf Bildern gesehen habe: die berühmte Lange Anna, 47 Meter hoch, und die Kurze Anna. Später auch den Lummenfelsen, der jetzt zur Brutzeit von etlichen Seevögeln bevölkert wird.
Lummenfelsen und Lange Anna: auf Tuchfühlung mit den Basstölpeln
Ehe ich die Verursacher des Geschnatters in den Nebelschwaden erspähen kann, denke ich noch an Möwen. Doch das Geschrei dieser Vögel klingt anders. Und dann sehe ich sie: weiß mit hellgelben Köpfen und schwarzen Flügelspitzen, groß wie Gänse. Sie sind auffällig gezeichnet und beeindruckend schön. Die Basstölpel hocken dicht gedrängt auf dem Buntsandstein und empfangen jeden Neuankömmling mit großem Lärm. Sie haben allerlei Dinge aus der Umgebung im Schnabel: lange Gräser, glitschigen Seetang, rote und blaue Plastikfasern aus alten Fischernetzen. Alles, was als Nistmaterial taugt.
Die Kolonie brütet seit 1991 hier auf Helgoland, ihrem einzigen Brutplatz in Deutschland. Als steile Felsinsel vor der Küste ist es der perfekte Ort für die Seevögel, um ihre Jungen aufzuziehen. Inzwischen besteht die Kolonie aus über Tausend Paaren. An einer Stelle führt der Klippenweg direkt bis an ihre Plätze heran. Ich nähere mich zaghaft, um die Tiere nicht zu stören, doch bei dem Radau scheinen sie die wenigen Wander:innen und Fotograf:innen kaum wahrzunehmen. Sie lassen sich nicht aus dem Konzept bringen und so versinke ich darin, das Spektakel zu beobachten. Besonders ihre Augen sind faszinierend, aus denen sie ab und an neugierig herüber blicken.
Warum eigentlich Basstölpel? Ihren Namen gab ihnen die vor der schottischen Küste gelegene Felsinsel Bass Rock. Dort brütet die größte Kolonie Europas. Ich freue mich, dass einige dieser wunderbaren Geschöpfe auch hier auf Helgoland anzutreffen sind und sitze so lange auf den Stufen am Lummenfelsen, bis meine Hände langsam einfrieren. Der eiskalte Wind und der feuchte Nebel legen sich unbarmherzig über alles und jede:n hier. Während ich mich aufmache und weiter wandere, harren die Vögel auf den Felsen aus. Das ist genau ihr Ding, hier fühlen sie sich wohl. Der Wind trägt meinen stillen Abschiedsgruß zu ihnen hinüber. Bis zum nächsten Mal, ihr Basstölpel.
Zwischen Kirchturm und Bagger: Heidschnucken am Klippenrand
Ich wandere weiter an der roten Felskante entlang, den Blick auf die Nordsee gerichtet. Hinter einer Wegbiegung zieht auf der anderen Seite plötzlich ein kleiner gelber Bagger meine Aufmerksamkeit auf sich. Er steht mitten in den Hügeln hier oben. Und dann tauchen hinter ihm drei Heidschnucken auf. Eine beinahe unwirkliche Szene, wie sie da so durch die grüngelben Grasbüschel pflügen. Zwischen Bagger und Kirchturm, der hinter ihnen aus dem Dunst ragt.
Ein heimisches Gefühl stellt sich ein. Irgendwie ist es fast egal, wo ich bin, immer sind Heidschnucken in der Nähe. Sie passen nahtlos in diese raue Landschaft, für die sie wie geschaffen scheinen. Die Schafe werden wie bei uns in der Lüneburger Heide auch hier auf Helgoland als natürliche Landschaftspfleger eingesetzt. Sie halten das Gras kurz und machen die Insel damit nahezu allergenfrei, denn kurze Gräser hemmen den Pollenflug. Sie gehören dem Ponyclub, erfahre ich später, der keine Ponys mehr, dafür nun Schnucken und Galloways hält. Und eigentlich mal ein Kegelclub war.
Dass die Heidschnucken hier einfach frei herumlaufen, wundert mich nur kurz. Wir sind schließlich auf einer Insel, wo sollten sie hin? Später lese ich, dass die Tiere besonders kletterfreudig sind und gerne an und auf den steil abfallenden Klippen nach den schmackhaftesten Gräsern suchen. Die Kletterei sieht nicht nur auf den Bildern gefährlich aus, ab und an geht das wohl auch nicht gut aus. Den drei Schafen vor mir steht heute zum Glück nicht der Sinn nach Risiko, sie verschwinden gemächlich wieder in den Hügeln. Als ich später auf der anderen Inselseite an den Kleingärten vorbeikomme, tauchen ihre Köpfe unvermittelt wieder auf. An einer Laube prangt das Schild “Heidschnuckenweg”. Offenbar aus gutem Grund.
Gigantische Sonnenuntergänge über den roten Felsen
Auf Helgoland schlägt das Wetter ständig um. Kein Wunder, denn die kleine Hochseeinsel liegt ungeschützt mitten in der Nordsee. So kommt es, dass sich am Abend die feuchten, kalten Nebelschwaden plötzlich verziehen und der Wind nachlässt. Die Landschaft wird jetzt in ein warmes, intensives Licht getaucht, die Stimmung ist einzigartig. Fast magisch. Ich gehe noch ein Stück weiter auf dem Klippenweg und dann hinunter zum Nordstrand, wo sich das Abendlicht in den Wellen bricht. Einfach atmen und spüren. Die Sonne schwindet langsam und ich folge den vielen Stufen wieder hinauf auf die Klippen. Die Lange Anna erleuchtet jetzt im gigantischen Farbspiel, rot glühende Felsen, die sich nach und nach in dunkle Silhouetten am Horizont verwandeln, als die Sonne im Meer versinkt. Was für eine Stimmung, was für Eindrücke. Ich bin sprachlos und dankbar.
Auf der Düne bei den Kegelrobben und Seehunden
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne vom Himmel. Im Gegensatz zu gestern weht kein Lüftchen, die Nordsee glitzert heute spiegelglatt. Ideale Bedingungen, um einen kleinen Ausflug zur Düne zu machen. Helgolands Nebeninsel wurde 1721 bei einer Sturmflut endgültig von der Hauptinsel abgespalten und ist jetzt durch eine schmale Meeresstraße von ihr getrennt. Im Frühjahr wird sie nicht nur von zahlreichen Vogelarten wie dem Austernfischer, sondern auch von Seehunden und Kegelrobben bevölkert, die zum Fellwechsel herkommen. Eine kleine Dünenfähre bringt Besucher:innen hinüber, die Fahrt dauert keine zehn Minuten.
Obwohl ich natürlich weiß, wonach ich Ausschau halte, erkenne ich die Tiere dann trotzdem erst auf den zweiten Blick. Die Robben und Seehunde liegen da so selbstverständlich in der Sonne, dass sie von Weitem kaum als Individuen zu erkennen sind. Sie sind Teil der Kulisse an diesem Bilderbuchmorgen. Zu hören ist nur das leise Plätschern der Wellen, die diesen Namen kaum verdienen und ab und an gemächlich auf den Strand rollen. Und dann erspähe ich diese Haufen. Nach und nach nehmen sie Gestalt an und werden als Robben und Seehunde erkennbar. Sie liegen in kleinen Gruppen zusammen in der Morgensonne und wälzen sich gelegentlich träge von einer auf die andere Seite.
Die Jungen sind längst nicht mehr so klein wie bestimmt noch vor einigen Monaten, als der Strand hier zu ihrer Kinderstube wurde. Mindestens 30 Meter Abstand soll man halten, informiert ein Schild. Nicht nur, um sie nicht zu stören, sondern auch, da es eben wilde Tiere sind, bei denen eine direkte Begegnung auch mal gefährlich werden kann. Genug Abstand findet man auf dem eigens errichteten Panoramaweg aus Holzbohlen, der am Nordstrand verläuft. Für eine Umrundung der Düne braucht man im gemächlichen Tempo nicht einmal eine Stunde. Es bleibt also genug Zeit, um noch die Sonne zu genießen und die Robben zu beobachten. Tipp: Bringt dafür am besten ein Fernglas mit. Hier auf Helgoland fühle ich mich wie in einer Zeitschleife, die perfekt ist, um den Moment zu inhalieren. Bevor es bald wieder zurück geht, nicht nur zum Festland, sondern auch in den Alltag.
Vom Oberland, Unterland und dem Fahrstuhl auf einer Hochseeinsel
Lasst uns nach diesen Eindrücken noch einmal zu den geographischen Besonderheiten auf Helgoland kommen. Denn hier gibt es spürbare Höhenunterschiede. Auch wenn der höchste Punkt mit 61,3 Metern nicht besonders gipfelstürmerisch scheint, unterteilt sich die Insel in Unterland, Mittelland und das Plateau Oberland. Mehrere Treppen verbinden die verschiedenen Ebenen und es gibt sogar einen Fahrstuhl. Richtig gelesen: Ihr könnt mit dem Aufzug vom Unterland durch den Fels hinauf zum Oberland fahren. Ich habe ihn nicht getestet, aber wenn ihr mal morgens vor dem Frühstück die bis zu 260 Stufen hinauf zum Bäcker nehmen müsst, ist das plötzlich schon nicht mehr ganz abwegig. 😜
Im Unterland sind die meisten der bunten Häuschen mit schwarzen Dächern zu finden, Restaurants und Läden und der Hafen mit seinen typischen Hummerbuden. Das Oberland bietet mit den beeindruckenden Felsformationen und dem faszinierenden Klippenweg vor allem Natur pur. Was dazwischen etwas überrascht, sind die Schrebergärten: von Salat bis hin zu tropischen Pflanzen in Minigewächshäusern gedeiht hier oben so einiges direkt an den Klippen. Fun Fact übrigens für die Norddeutschen: Helgolands höchste Erhebung, der Pinneberg, ist zugleich der höchste Punkt des Kreises Pinneberg in Schleswig-Holstein. Denn dazu gehört die Hochseeinsel verwaltungstechnisch.
Helgoland – mein Fazit
Viel brauche ich hier gar nicht mehr schreiben. Wer den vorangegangenen Bericht gelesen hat, wird gemerkt haben, wie begeistert und fasziniert ich von Helgoland bin. Ich bin Ende März mit der ersten Fähre angereist, die von Hamburg aus fuhr. Über die Wintermonate fährt die Fähre nur ab Cuxhaven, die Saison geht auf der Insel etwa von Anfang April bis Ende Oktober. In der Winterzeit oder zu Beginn der Saison haben vielleicht einige Lokalitäten noch nicht geöffnet, dafür ist es aber auch deutlich ruhiger als in den Sommermonaten. Die Überfahrt dauert mit dem Katamaran “Halunder Jet” vom Hamburger Hafen rund dreieinhalb Stunden, von Cuxhaven sind es etwa 70 Minuten. Die Fährpreise sind nicht ganz günstig, für die Fahrzeit und den Komfort an Bord aber angemessen. Und schon die Anreise ist hier ein wirkliches Erlebnis, denn man fährt die Elbe hinauf und bekommt einiges zu sehen.
Mein wichtigster Tipp für einen Besuch auf Helgoland: Plant wenn möglich unbedingt mindestens eine Übernachtung ein! Viele machen nur Tagesausflüge und haben dann lediglich vier Stunden Zeit auf der Insel. Da kann man zwar auch schon etwas erleben, das volle Ausmaß erfährt man aber erst, wenn man etwas länger verweilt und mehr als einen Tag hier verbringt. Ich hatte das Glück, diesen gigantischen Sonnenuntergang am Abend und die spezielle Stimmung auf der Insel in der Dämmerung und schließlich in der Nacht erleben zu dürfen. Zudem bleibt so genügend Zeit für den Klippenweg, der zwar nicht besonders lang ist, auf dem man aber schon allein zur Vogelbeobachtung mehrere Stunden verweilen kann. Und neben einem Bummel durch den Ort ist auch ein Ausflug auf die Düne noch drin, der sonst aufgrund der Fährzeiten kaum unterzubringen ist. Vielen Dank für dieses eindrucksvolle Wochenende, Helgoland. Ich komme ganz sicher wieder!