Herbst im Tister Bauernmoor: Auf den Spuren der Kraniche

Es trompetet, schnattert, kräht über uns. Ein Abend Ende Oktober, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang. Wir sind auf dem Weg zu den großen Wasserflächen im Tister Bauernmoor. Und nicht nur wir: Am Himmel sammeln sich Schwärme von Zugvögeln, die nach den Ausflügen des Tages von den umliegenden Feldern zu ihren Schlafplätzen im Moor zurückkehren. Allen voran die majestätischen Kraniche.

In Niedersachsen, genau gesagt in der Nähe des Ortes Tiste im Landkreis Rotenburg (Wümme), befindet sich das Tister Bauernmoor. Das Hochmoor wurde ab dem 18. Jahrhundert von den ortsansässigen Bauern zum Torfstich genutzt. Nicht nur das begehrte Brennmaterial war hier zu holen, die Trockenlegung des Moores versprach zusätzlich neues Weideland und Ackerflächen. Noch bis Ende des 20. Jahrhunderts baute man hier auch industriell Torf ab, bevor das rund 570 ha große Moor 2002 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Und sich zu einem der bedeutendsten Kranichrastplätze in Niedersachsen und Norddeutschland entwickelte.

Auf Gleisen durch das Moor: Rundfahrt mit der Moorbahn

All das erfahren wir von Hartmut, dem Lokführer der kleinen Moorbahn, während wir in gemächlichem Tempo hinein in das Tister Moor tuckern. An diesem Oktobermorgen hat es geregnet und so haben wir mittags einige Startschwierigkeiten, denn die Schienen sind teilweise nass und rutschig. Doch kein Problem für den erfahrenen Lokführer, der uns zunächst am Bahnhof auf Plattdeutsch begrüßte. Immer wieder springt er von seiner kleinen Lok, um Sand auf den Schienen vor uns zu verteilen. Nach einigen Anläufen spielt die Moorbahn schließlich mit und die Fahrt kann beginnen.

Gelb-goldene Farben dominieren im Moment auf den weiten Moorflächen. An interessanten Stellen zwischendurch halten wir an. Zum Beispiel dort, wo Hartmut seine Erzählungen über die Entstehung und Nutzung des Moores live veranschaulichen kann. So stakst er währenddessen am Rande der sumpfigen Fläche neben den Gleisen entlang und zeigt uns Torfmoose, Pfeifen- und Wollgräser und Heidesträucher. Eigentlich würde die Fahrt weiter bis zum Aussichtsturm und der barrierefreien Aussichtsplattform führen, doch durch Corona überspringen wir diese Stopps. Während in den Waggons der Bahn die einzelnen Sitzreihen mit Plastikfolie abgeschirmt sind, könnte man mit allen Besuchern an diesen Plätzen die Abstände nicht ausreichend einhalten.

Das Tister Bauernmoor – Rastplatz für Kraniche und andere Zugvögel

Deshalb fahren wir bis in einen Bereich, der eigentlich für Besucher gesperrt ist: an den Rand der großen Wasserflächen, die man von den Aussichtspunkten aus sieht. Diese Abtorfungsflächen haben sich in den letzten Jahrzehnten zu beliebten Schlafplätzen für die Kraniche und andere Zugvögel entwickelt. Im Oktober und November machen sie hier im Tister Bauernmoor Rast. Ein paar Tage bis mehrere Wochen halten sich die Schwärme im Moor auf, um auf ihrem langen Weg von Skandinavien nach Südeuropa und Nordafrika neue Kräfte zu sammeln. Die westeuropäische Zugroute ist eine der beiden festen Routen neben der baltisch-ungarischen. Jedes Jahr pendeln die Kraniche zwischen ihren Überwinterungsplätzen im Süden und den Brutplätzen im Norden hin- und her.

Die Schlafgewässer im Tister Bauernmoor spielen dabei eine wichtige Rolle. Nicht nur die Kraniche, sondern auch zahlreiche andere Wasservögel wie Kormorane, Gänse und Enten übernachten in den weitläufigen, flachen Gewässern. Hier sind sie vor Fressfeinden wie Füchsen und Wildschweinen sicher. Tagsüber fliegen sie zu den abgeernteten Maisfeldern und Wiesen in der Umgebung, wo sie mit den Überresten der Ernte einen reich gedeckten “Tisch” vorfinden. Morgens zum Sonnenaufgang und abends zum Sonnenuntergang ist deshalb in dieser Zeit jeden Tag ein großes Spektakel zu verfolgen, wenn die Vögel ausschwärmen bzw. zurückkehren.

Vogelbeobachtung zum Sonnenaufgang und Sonnenuntergang

Davon erzählt uns Hartmut auf unserer Moorbahnfahrt, die gegen 15 Uhr endet. Ab und zu kann man bereits jetzt einen Schwarm Gänse am Himmel beobachten, doch für die Rückkehr der Kraniche ist es noch zu früh. Deshalb beschließen wir, eine Woche später erneut ins Moor zu fahren, diesmal zum Sonnenuntergang. Und obwohl wir schon so viel davon gehört und gelesen haben, ist es wirklich ein ganz besonderes Erlebnis. Schon auf unserer kurzen (etwa 1 km langen) Wanderung durch das Moor in Richtung Aussichtsturm und -plattform, die in etwa 500 m Entfernung die perfekte Sicht auf die Wasserflächen bieten, verstehen wir vor lauter Rufen und Trompeten am Himmel unsere eigenen Gedanken kaum.

Bereits jetzt, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, kehren die ersten Schwärme zu den Schlafplätzen zurück. Wir haben Glück, nach einem regnerischen Morgen haben sich jetzt am Abend die Wolken verzogen und die ganze Umgebung ist in ein goldenes Licht getaucht. Später färbt sich der Himmel tief rosa, was dem Ganzen eine einzigartige Kulisse bietet. Nach und nach treffen immer mehr Vogelschwärme ein, die lautstark von den Artgenossen empfangen werden, die sich bereits im flachen Wasser niedergelassen haben. Mehrere Tausend, in Hochzeiten sogar bis zu 10.000 Kraniche übernachten hier. Wir verharren mit Fernglas und (leider nur Handy-)Kamera bewaffnet auf der Plattform und können uns kaum sattsehen an dem Spektakel.

Selbstverständlich: Rücksichtsvolles Verhalten zum Schutz der Vögel

Ich finde: Das sollte wirklich jeder mal selbst erleben. Wenn ihr also die Möglichkeit habt, im Tister Bauernmoor oder woanders in eurer Nähe Kraniche in dieser besonderen Zeit zu beobachten, macht das unbedingt mal. Auch im Frühjahr rasten hier übrigens einige Kraniche auf dem Rückweg zu ihren Brutplätzen, dann jedoch deutlich weniger und für kürzere Zeit. Ich hätte noch ewig dort stehen und in den Himmel starren können. Solche Beobachtungsplätze bieten optimale Voraussetzungen, um den Vögeln nah genug, aber nicht zu nah zu kommen. Die Aussichtspunkte befinden sich in ausreichendem Abstand zu ihren Schlafplätzen, sodass man die Vögel nicht stört. Man sollte sich natürlich trotzdem ruhig verhalten und beim Fotografieren den Blitz der Kamera ausschalten.

Vor allem in “freier Wildbahn” ist ebenfalls auf ausreichend Distanz zu achten (mindestens 200 m, besser 300-500 m). Hektische Bewegungen sind zu vermeiden. Hunde werden grundsätzlich als Gefahr gesehen und sollten deshalb nicht dabei sein. Werden Kraniche aufgescheucht, verbrauchen sie bei der Flucht unnötig viel Energie, die sie unbedingt für ihre weitere Reise benötigen. Auch können Jungvögel in der Panik von ihren Eltern getrennt werden, deshalb ist es wichtig, sich an diese Regeln zu halten.

Ein Besuch im Tister Bauernmoor lohnt zu jeder Jahreszeit

Neben der Kranichbeobachtung kann ich euch das Tister Bauernmoor auch außerhalb dieser Zeit als Ausflugsort sehr empfehlen (wenn nicht gerade, wie aktuell, die Corona-Einschränkungen gelten – versteht sich). Die Fahrt mit der Moorbahn bietet viele Hintergrundinformationen, die man übrigens auch in Form eines kleinen Büchleins erwerben und mit nach Hause nehmen kann (einige der Infos in diesem Bericht stammen daraus). Auf einem langgezogenen Hauptweg lässt sich das Moor auch zu Fuß sehr gut erkunden. Auf abzweigenden kleinen Pfaden wie dem Heideweg und dem Schwingrasenweg kann man die Besonderheiten des Moores und der hier lebenden Pflanzen selbst entdecken. Die Umgebung lädt außerdem zu längeren Wanderungen ein.

Für weitere Berichte und Ausflugstipps in Hamburg & Umgebung schaut gerne mal auf der Kategorie-Seite vorbei: Dort geht es von der Alten Süderelbe bei Finkenwerder in die Fischbeker Heide bis hin zu einer richtigen Insel im Alten Land.

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